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Altes Mauerwerk in jungen Händen
Mehr als sechzig Schulen nehmen an der Aktion "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" teil



"Irgendwie ist Charlotta zu bedauern", finden Miriam und Karolin, denn "in zehn Jahren gebar sie zehn Kinder". Die beiden Schülerinnen der Schule am Haus Langendreer für Körperbehinderte in Bochum haben dicke Chroniken gewälzt, um Geschichten aus dem Leben der Charlotta von der Borch erzählen zu können. Sie erfuhren, daß die adelige Dame im 18. Jahrhundert dort gelebt hatte, wo heute ihre Schule steht. Das barocke Herrenhaus der Borchs – das Haus am Langendreer – wurde 1906 abgerissen. Aber ein alter Gefängnisturm, ein ehemaliges Gerichtsgebäude, ein Gesindehaus und Umfassungsmauern sind noch erhalten. Wie Miriam und Karolin, so kommen die meisten Schüler in Bochum-Langendreer seit 1998 während des Unterrichts mit der Geschichte ihrer Schule in Berührung und werden in die Restaurierung des Gefängnisturmes eingebunden. In diesem Schuljahr beteiligen sie sich an der bundesweiten Aktion denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die unter der Schirmherrschaft der deutschen UNESCO-Kommission steht.


Mit denkmal aktiv möchte die Stiftung das Bewußtsein für den Denkmalschutz in den Schulen etablieren. Die Schüler sollen sich nicht nur an die Geschichte und Baustilkunde eines Gebäudes annähern, sondern sich auch mit konservatorischen Fragen auseinandersetzen. So wie der 17jährige Matthias von der Geschwister-Scholl-Schule in Bremerhaven. Sie gehörte zu den 25 Schulen, die 2002/2003 an der Pilotphase von denkmal aktiv teilnahmen. Im Leistungskurs Geschichte lernte Matthias den Leuchtturm Roter Sand kennen. Auch in diesem Schuljahr beteiligt sich seine Schule an der Aktion. Eine Fahrt auf der Goliath zum Roten Sand soll wiederum der krönende Abschluß einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Denkmalschutz werden. 66 Schulen in ganz Deutschland nehmen zur Zeit an denkmal aktiv teil. Sie werden dabei von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und Denkmalpflegern vor Ort beratend unterstützt. In Rostock erarbeiten die Leistungskurse Physik und Kunst des Goethegymnasiums einen Stadtführer zu Bauhaus-Bauten in ihrer Stadt, der vom Leistungskurs Englisch auch noch übersetzt werden soll. In Annaberg-Buchholz kümmern sich Schüler einer berufsbildenden Schule um das Kloster Osek in Tschechien, das dringend saniert werden muß. In Köthen setzen sich Gymnasiasten mit der Natur- und Kulturlandschaft Elbe auseinander – um nur einige Beispiele zu nennen.


In den nächsten Schuljahren soll denkmal aktiv fortgesetzt werden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte ein dauerhaftes Netzwerk von Schulen aufbauen, die das Thema Kulturerbe in den Unterricht integrieren. Sie wird dabei von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz, dem Städtebauministerium Nordrhein-Westfalen und dem Kultusministerium Sachsen-Anhalt unterstützt.

Doch zurück zur Schule am Haus Langendreer in Bochum. 290 Schülerinnen und Schüler – von ihnen sind 79 schwerstbehindert – werden dort nach ihren Möglichkeiten gefördert. Seit 1998 sind acht Schüler einen Tag pro Woche bei der Restaurierung des ehemaligen Gefängnisturmes auf dem Schulgelände eingesetzt. Sie konnten mit ihrem Engagement sogar bewirken, daß der vermutlich im 15. Jahrhundert errichtete Turm zusammen mit den noch vorhandenen Gebäudeteilen von Haus Langendreer im Jahr 2000 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Für dieses Schuljahr haben sich die Bochumer Schüler zusammen mit ihren Lehrern im Rahmen von denkmal aktiv etwas ganz Besonderes vorgenommen: Sie möchten mit verschiedenen Aktivitäten mehr Bewußtsein für „ihr“ Denkmal wecken und planen, ein Modell des abgerissenen Herrenhauses der Familie von der Borch zu bauen. Schon jetzt führen sie interessierte Gruppen durch den Turm und tragen dazu bei, die Bedeutung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern.


Außerdem möchten sie im Gefängnisturm ein kleines Museum eröffnen, in dem sie die Schätze zeigen, die sie bei einer Grabung im und am Turm gefunden haben. Die Besucher können sich dort auch über die Geschichte des Hauses Langendreer und ihrer Bewohner informieren, die Miriam, Karolin und die anderen erforscht haben.

aus: Monumente, 3/4 2004