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Die Synagoge von Memmeldorf

Was die Schülerinnen des Friedrich-Rückert-Gymnasiums über das Leben und die düsteren Jahre jüdischer Familien in Memmelsdorf alles herausfanden

Mit Beginn des neuen Schuljahres geht das erfolgreiche „denkmal aktiv“-Projekt in sein drittes Jahr. 75 Schulen nehmen 2004 an „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“ teil, darunter auch das Friedrich-Rückert-Gymnasium aus dem unterfränkischen Ebern.

Die Schule ist sozusagen schon ein Profi unter den „denkmal aktivlern“. Von Beginn der Schulaktion an waren Schülerinnen des Gymnasiums dabei und blieben es auch, so daß die Teilnehmer der ersten Stunde ausschließlich aus Zeitgründen wegen des nahenden Abiturs nun etwas kürzertreten müssen. Sie haben mittlerweile eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Objekt, der ehemaligen Synagoge im nahegelegenen Memmelsdorf, und jeder, der die Jugendlichen dort besucht, wird dies spüren.

Noch bis 1995 war die Synagoge nur ein wenig beachtetes Haus, im Hinterhof an einer der ruhigen Dorfstraßen Memmelsdorfs gelegen. Der ehemalige Betraum war jahrelang als Werk- und Lagerraum und als Voliere genutzt worden, die Nebenräume – die Frauenempore und die einstige Lehrerwohnung – dienten der Dorfgemeinde unter anderem als Kühlräume. Im November 1938 war in der Pogromnacht die Einrichtung der Synagoge völlig zerstört worden. 17 von den 1933 in Memmelsdorf lebenden 25 Juden wurden deportiert und ermordet. Seit dieser Zeit ist das Gebäude nicht mehr in seinem eigentlichen Sinn genutzt worden.

Es war 1728 errichtet worden: als Stätte für die Gottesdienste, als Gemeinde- und Gerichtshaus, als Ort für religiöse Studien und schließlich als gesellschaftlicher Treffpunkt. Das fränkische Landjudentum besaß viele solcher Synagogen, von denen allerdings nur noch wenige existieren. Die Memmelsdorfer jüdische Gemeinde war aber besonders groß. 1813 zählte man immerhin 240 Juden im Dorf, was der Hälfte der Einwohner entsprach. Die Landjuden hatten sich nach ihrer Vertreibung aus den größeren Städten seit dem 15. Jahrhundert unter das Judenschutzgesetz einiger Ritter begeben und das Wohnrecht in deren Dörfern teuer bezahlen müssen.

Nur wenige sind wohl über das bayerische Landjudentum gut informiert. Die Schülerinnen des Eberner Gymnasiums sind es jetzt aber auf jeden Fall, und sie haben Spaß daran, ihr Wissen weiterzugeben. So entstand neben der Erarbeitung einer Ausstellung über die Geschichte der Synagoge die Idee, die Besucher des Gebäudes durch einen Such- und Antwortkatalog auf Spurensuche zu schicken. Kartons zeigen Fotos von diversen Baudetails. Die Besucher müssen sie im und am Gebäude aufspüren und dann die unterschiedlichsten Fragen dazu beantworten. Zu den Fragen wurden Informationsmappen von den Schülerinnen entwickelt. Der Lerneffekt ist nachhaltig.

Auch wenn der Betsaal der ehemaligen Synagoge auf den ersten Blick außer dem Toraschrein und dem Giebelfeld mit den Gebotstafeln an der Ostseite nicht besonders viel zu bieten scheint, wundert man sich doch über die zahlreichen Details und Informationen, die er bei näherem Hinschauen offenbart. Geholfen wurde den Oberstufenschülerinnen – zu diesem Projekt konnte sich tatsächlich kein männlicher Altersgenosse bewegen lassen – von den Archiven der Region. Sie stellten auch die Dokumente zur Verfügung, deren Kopien 27 „Familienschachteln“ füllen.

Eine jede steht für eine der jüdischen Familien aus Memmelsdorf. Schwarz auf weiß hält man da den Schriftsatz der Geheimen Staatspolizei, Außenstelle Würzburg, vom 1. August 1942 mit dem Schriftzeichen B. Nr. IV B4-a-2537/42-207 in den Händen, nach dem Meir Kaufmann seinen Wohnsitz nach Theresienstadt „verlegte“. Oder man liest in einem Brief von ihm, wie er 1939 samstags nachts in Memmelsdorf überfallen wurde, um Hilfe rief und „niemand gekommen ist. (...) Ich bleibe um keinen Preis mehr in Memmelsdorf“. Beklemmende deutsche Geschichte in einem kleinen fränkischen Dorf. Zu jedem erfolgreichen Schülerprojekt gehört ein engagierter Pädagoge. Hier ist es der Physik- und Mathematiklehrer Hansfried Nickel, der sich schon seit Jahren unermüdlich für die Memmelsdorfer Synagoge engagiert. So organisierte er 1998 und 1999 Feriencamps mit Jugendlichen aus Israel, Polen und Bayern, die in harter Handarbeit mit der Sanierung des Gebäudes begannen. Die Schulaktion „denkmal aktiv“ stellte sich für ihn in ihrem Pilotjahr 2002/03 wie maßgeschneidert dar, und so gehören er und seine Schüler zu den ersten Teilnehmern. Hansfried Nickel ist außerdem Vorsitzender des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf (Ufr.) e. V., der den Ausbau der ehemaligen Nebenräume für Ausstellungen und Tagungen ermöglichte. Am 11. Juli dieses Jahres konnten sie feierlich eingeweiht werden. Schon zuvor machten Teile der Memmelsdorfer Synagoge eine Reise rund um die Welt: Auf dem Dachboden waren rituelle Gegenstände und Schriften der Synagogen-Gemeinde – einige aus dem 16. und 17. Jahrhundert – gefunden und in einer Ausstellung bis in die USA und nach Jerusalem geschickt worden.

2004 gibt es eine Premiere bei „denkmal aktiv“: Erstmals werden Netzwerke geknüpft. Drei und mehr Schulen, die an ähnlichen Themen arbeiten, sollen sich zusammenschließen und austauschen – auch mit Schulen aus dem europäischen Ausland. Die Schulteams stehen in der Folge als kompetente Ansprechpartner für weitere interessierte Schulen zur Verfügung. Auch hier ist die Schule aus Ebern federführend: Sie wird einen Verbund von sieben Schulen anführen, die sich alle mit Zeugnissen jüdischen Lebens beschäftigen – darunter eine Schule aus Pécs in Ungarn und eine aus Zory in Polen.

aus: Monumente 9/10 2004