Gropius und das Porzellan
Wie junge Menschen die Vergangeneheit aufarbeiten, damit sie Zukunft hat

Fast echt sehen sie aus, die Äpfel und Birnen auf dem Tisch. Erstaunt stellen die Umstehenden fest, daß sie aus Wachs sind. Daneben liegen auch Glasstücke mit Malereien, die ebenso wie die Wachsfrüchte von Schülern der Dessauer Sekundarschule Friedrich Schiller im Kunstunterricht angefertigt wurden. Vorlagen dafür hatten sie bei Rundgängen durch den nahegelegenen Wörlitzer Park mit seinen Tempeln und Schlössern gefunden.

Nun zeigen die Schüler der 8. Klasse, die sich im Unterricht zuvor mit dem aufgeklärten Absolutismus befaßt hatten, ihre Arbeiten nicht ohne Stolz im Tagungsraum eines Wörlitzer Hotels. Denn hier treffen sich die Schulteams, die sich an der Aktion der Deutschen Stiftung Denkmalschutz denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule beteiligen. Mit 25 „Pilotschulen“ war die bundesweite Schulaktion im Herbst an den Start gegangen. Damit sollen Schulen angeregt werden, das Thema Denkmalschutz in den Unterricht einzubinden. Das Treffen am 24. und 25. Januar bot den fast 100 Teilnehmern Gelegenheit, über den Stand ihrer Projektarbeit rund um Denkmale vor Ort zu berichten, sich über Erfolge und Rückschläge auszutauschen und Einzelaspekte anzusprechen. Die Schüler präsentierten souverän und mit großem Einsatz ihre bisherigen Ergebnisse.

Zwei Schüler der 11. Klasse des Schiller-Gymnasiums in Hof erläuterten zum Beispiel anhand einer selbst gestalteten Internetseite die Charakteristik der Bauten von Walter Gropius. Das Publikum erfuhr nebenbei, daß der Bauhaus-Architekt auch einmal einen Schweinestall bauen mußte – eine verlorene Wette war der Grund. Schwerpunkt des Hofer Projektes ist die von Gropius errichtete Rosenthal-Porzellanfabrik im oberfränkischen Selb. Die Klasse hat die Fabrik inzwischen zweimal besichtigt und dabei viele Details fotografiert. Die Ergebnisse fließen in eine Ausstellung ein, die die Lebenswelt der sechziger Jahre widerspiegeln und unter anderem in Hof und im Industriemuseum Selb gezeigt werden soll.
Über ein ganz anderes Projekt, den neuen jüdischen Friedhof in Dresden, berichtete das Schulteam des Gymnasiums Dresden-Großzschachwitz. Ziel der Lehrer und Schüler ist es, einen Friedhofsführer zu erstellen. Sorge bereitet ihnen dabei der drohende Verfall des Sandsteins, aus dem viele Grabsteine angefertigt sind. Genaue Untersuchungen der Grabsteine unter fachlicher Begleitung und eine Fahrt nach Amsterdam, wo die Schüler den Kontakt zur jüdischen Gemeinde knüpften und das Anne Frank-Museum besuchten, standen bisher auf dem Programm. Geplant sind jetzt Interviews mit Zeitzeugen.

Berliner Auszubildende zum Maurer und Zimmerer stellten ihre praktische Arbeit am Fort Hahneberg in Berlin-Spandau vor. Zwanzig Schüler praktizieren dort „Denkmalschutz live“: von Schadenskartierungen über das geodätische Aufmaß bis zu Schnittskizzen. Selbst die Kälte in den alten Gemäuern des Forts nahe der ehemaligen Mauer konnte der Begeisterung der Schüler keinen Abbruch tun. Die reich bebilderte Dokumentation lieferte eine Menge Anschauungsmaterial.
Im weiteren Verlauf der Tagung gab die Arbeit in Gruppen den Schülern Gelegenheit einander kennenzulernen, ganz im Sinne des Grundgedankens der Schulaktion denkmal aktiv, die zu einem Netzwerk führen soll: Lehrer und Schüler aus verschiedenen Bundesländern setzen sich für historische Bauten ein und stehen als Ansprechpartner für interessierte Schulen zur Verfügung. Einige Schulen kooperieren schon jetzt miteinander und fördern durch Exkursionen zu anderen denkmal aktiv-Schulen Teamgeist und Motivation: So trafen sich beispielsweise die Schulteams aus Aachen und Berlin in St. Vith in Belgien, um dort gemeinsam Restaurierungsobjekte anzusehen. Die Berliner kamen im zweiten Schritt nach Aachen, um die Spinnerei Kutsch in Aachen-Brand zu besichtigen, die nach ökologischen Maßstäben und mit traditionellen Handwerkstechniken restauriert wird. Die Lehrer entwickelten Strategien zur Öffentlichkeitsarbeit, diskutierten die Möglichkeiten des Lehrplanbezugs und erörterten die Akzeptanz ihrer Projektarbeit innerhalb der Kollegien. Übereinkunft bestand darin, daß der von bildungspolitischer Seite häufig geäußerte Wunsch, die Schulen zu öffnen und außerschulische Lernorte einzubeziehen, sich mit der Schulaktion denkmal aktiv besonders gut umsetzen läßt.

Ein Höhepunkt der Tagung war die Vorstellung der neuen Unterrichtsmaterialien. Die Mappe „Welterbe für junge Menschen. Entdecken – Erforschen – Erhalten“ ist die deutsche Fassung der englischsprachigen Originalausgabe der UNESCO und wird zusammen mit der Deutschen und der Österreichischen UNESCO-Kommission herausgegeben. Sie möchte Lehrer dazu anregen, das Thema Welterbe im Unterricht zu behandeln.
Am Schluß des Treffens stand dann eine Exkursion in das Dessau-Wörlitzer Gartenreich auf dem Programm. Vieles, wovon die Schüler aus Dessau in ihrer Präsentation berichtet hatten, war vor Ort wiederzuentdecken. poe

aus: Monumente, 3/4 2003