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Kurs auf den Roten Sand

Schüler in Aktion für den Denkmalschutz

53 Grad, 51 Minuten, 18 Sekunden nördlicher Breite und 8 Grad, 4 Minuten, 54 Sekunden östlicher Länge - was sich für Landratten nach einer gehörigen Portion Fachchinesisch anhört, wissen die Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums Geschwister Scholl im Handumdrehen zu deuten: Die Koordinaten geben den Standort des Leuchtturms Roter Sand in der Außenweser an. Und das wissen die Elftklässer aus Bremerhaven nicht erst seit gestern. Sie gehören zu einem Schulteam, das sich im Rahmen des Schulprogramms "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" ein Schuljahr lang mit dem Thema Denkmalschutz beschäftigt hat.

"Leuchtturm Roter Sand. Ein maritimes Bauwerk in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", so lautet der Titel ihres Projektes. Die Jugendlichen nehmen nicht nur den Leuchtturm selbst unter die Lupe, sondern ordnen ihn beispielsweise auch in den geschichtlichen Zusammenhang seiner Errichtung Ende des 19. Jahrhunderts ein.

Das Schulprogramm "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" ging im Herbst 2002 mit 25 Schulen an den Start. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte junge Menschen für den Schutz des kulturellen Erbes gewinnen, indem sie ihnen die Möglichkeit bietet, historische Bauten vor Ort kennen zu lernen und sich aktiv dafür zu engagieren. Heute zählt das Netzwerk rund 1.000 Schüler und Lehrer von knapp 70 Schulen aus allen Bundesländern - Tendenz steigend.

Welche Restaurierungsmaßnahmen werden in historischen Bauten vor Ort durchgeführt? Ist eine Kulturlandschaft in der Umgebung durch Umwelteinflüsse gefährdet und was kann man dagegen tun? Gibt es in der Nähe eine UNESCO-Welterbestätte und was zeichnet sie aus? Solche Fragen stehen am Anfang, wenn die jungen Spurensucher ihre Projekte beginnen und sich ihrem Objekt nähern. Das Ideenspektrum ist weit: So widmen sich etwa Schüler aus dem brandenburgischen Premnitz stillgelegten Bahnhofsgebäuden im Hinblick auf eine mögliche Unterschutzstellung. Schüler aus Rostock erfassen unbekannte Bauhaus-Bauten in der Stadt und bereiten einen Architekturführer vor. Die Beschäftigung mit der heutigen und zukünftigen Funktion der Gedenkstätte an der ehemaligen Grenzstelle Helmstedt-Marienborn steht im Mittelpunkt der Arbeit einer niedersächsischen Schülergruppe. Im Rahmen eines grenzüberschreitenden Projekts zur Klosteranlage Osek in Tschechien analysiert ein junges Team biologische und chemische Prozesse, macht Schadensursachen ausfindig, hilft beim Sichern von Gebäudeteilen und entfernt Wildwuchs. Diskussionen der Schüler mit Fachleuten von Denkmalämtern, Museen oder Architekturbüros stehen dabei ebenso auf dem Programm wie die Auswertung von Befunden, die Kartierung von Häusern oder die Aufbereitung der Ergebnisse für Ausstellungen, touristische Faltblätter oder Internetseiten.

Das Schulzentrum Geschwister Scholl aus Bremerhaven konnte das Deutsche Schifffahrtsmuseum als Partner gewinnen, dessen Leiter Hans-Walter Keweloh vom Einsatz und Interesse der jungen Leute sehr angetan ist: "Die Schüler lernen, selbstständig im Internet, in Stadtarchiven oder Bibliotheken zu recherchieren und erwerben damit Schlüsselqualifikationen für ihren Berufseinstieg." In seinem Projekt befasste sich der Geschichte-Leistungskurs mit der Errichtung des Leuchtturms im Kaiserreich und seiner dramatischen Rettung im Jahr 1987, bei der eine Stahlmanschette über den 30 Meter hohen Turmschaft gestülpt und auf dem Meeresgrund mit Beton hinterfüllt wurde, um dem Fundament neue Stabilität zu verleihen.

Außerdem untersuchten die jungen Spurensucher die heutige touristische Nutzung des stillgelegten Seezeichens. Um mehr über den Bekanntheitsgrad des Bauwerks in ihrer Stadt herauszufinden erarbeiteten sie einen Fragebogen und machten eine Straßenbefragung. Im Mathematikunterricht werteten sie die Ergebnisse statistisch aus. Fazit: Für eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit bleibt noch viel zu tun. Denn die Mehrzahl der befragten Bremerhavener kannte zwar den Roten Sand, konnte aber beispielsweise bei der Frage nach dem Datum der Entstehung nur vage Angaben machen.

Die Exkursion zum Roten Sand, erzählt Hartwig Wiest, Lehrer am Schulzentrum Geschwister Scholl, war zweifellos einer der Höhepunkte für das Team aus Bremerhaven. Nach dreistündiger Überfahrt mit dem Schlepper Goliath ragte der "Rote Sand" schließlich vor den Schülern auf. Mit dem Los der Leuchtturmwärter, die hier einst wochenlang ihren Dienst taten, wollte zwar keiner der jungen Leute tauschen. Doch vom fröhlich rot-weiß geringelten Turm mit seiner originalen Innenausstattung sind die Schüler begeistert und nach der eingehenden Beschäftigung damit unbedingt dafür, dass der Turm für nachfolgende Generationen erhalten bleibt.

Damit auch andere Schulen von den Erfahrungen und Ideen profitieren können, werden die Teilnehmer des denkmal-aktiv-Netzwerks dazu angehalten, ihre Projekte in Arbeitsplänen und Berichten genau zu dokumentieren. So entsteht langfristig eine Sammlung von Leitfäden und pädagogischen Materialien für "Denkmalschutz-Projekte" in der Schule. Bei einem der bundesweiten Treffen zum Erfahrungsaustausch, die die Stiftung regelmäßig organisiert, präsentierte eine Bremerhavener Schülerin stolz einen 40-seitigen Hefter, der alle Ergebnisse ihres Leuchtturm-Projektes umfasst.

Viele Schüler und auch Lehrer sind begeistert bei der Sache und führen ihre Projekte im darauffolgenden Jahr weiter. So hat sich das Bremerhavener Leuchtturm-Projekt nach dem ersten Jahr zu einem Projekt zur Kulturlandschaft Weser ausgeweitet, an dem auch andere Kollegen der Schule mitarbeiten.

"denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission und wird maßgeblich von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Weitere Partner sind das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz, das Auswärtige Amt sowie die Ministerien verschiedener Bundesländer. Im kommenden Schuljahr soll das Netzwerk zu einem Kreis von Schulverbünden ausgebaut werden. Ein solcher Verbund besteht aus Teams von drei bis sechs Schulen, die während der gesamten Projektlaufzeit einen intensiven Austausch pflegen. Darüber hinaus werden ab dem Herbst auch Schulen aus dem europäischen Ausland einbezogen, um grenzüberschreitende Projekte zu Kulturdenkmalen anzuregen.

aus: Monumente-Sonderheft 8/2004