presse

Mathe, Stuck und Schiller
Wie die Schulaktion "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" jungen Menschen unser bauliches Erbe nahebringt

Wer weiß die chemische Formel für Gips?" Die Frage Undine Schultzes verhallt in der konzentrierten Arbeitsatmosphäre der Klasse 9c des Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasiums. Auch Dr. Jürgen Seifert vom Weimarer Ortskuratorium der Deutschen Stiftung Denkmalschutz fällt sie nicht ein. "In einem halben Jahr wissen wir mehr", lächelt die Kunstlehrerin.

Es ist ein Ortstermin: Weißer Saal in Schloß Ettersburg bei Weimar. Draußen ist es kalt, der Himmel grau verhangen, Pulverschnee liegt knöchelhoch. Schneeflocken treiben unaufhörlich an den großen Fenstern vorbei. Im Schloß ist es frostig, aber wenigstens windstill und schneefrei. Die Schüler haben sich dick eingepackt und widmen sich mit Camcorder und Zeichenblock dem reichen Schmuckdekor der Innenräume. Seit zwei Jahren untersucht die Klasse das sogenannte Alte und Neue Schloß, einst Jagd- und Sommerschloß der Herzöge von Weimar, das bereits seit 1978 leersteht. "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" heißt das Projekt, das den Schülern ermöglicht, den Geheimnissen des 300 Jahre alten Mauerwerks, das so viel Weimarer Geschichte bewahrt, auf die Spur zu kommen.

Im Juni 2003 sprachen die zehn Mitglieder des Ortskuratoriums in Weimar alle Schulen in der Stadt und im Weimarer Land an, um sie für das Schulprojekt "denkmal aktiv" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu begeistern. Das Weimarer Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium stieg in das Projekt ein: fachübergreifender und praktischer Unterricht an einem Baudenkmal, um Jugendliche an das wahrlich breitgefächerte Thema Denkmalschutz und -pflege heranzuführen. Obwohl es für die Kunsterzieherin Undine Schultze viel Zeit, Mühe und Einarbeitung in auch für sie fremde Fachthemen bedeutet und auch die Schüler viel von ihrer Freizeit in Schloß Ettersburg investieren, sind sie von dieser Art Schulunterricht sehr angetan. So sehr, daß sie in diesem Schuljahr das Projekt weiterführen.

Letztes Jahr beschäftigten sich die Schüler mit der Geschichte und dem höfischen Leben im Schloß (Fächer: Deutsch, Geschichte und Kunst), setzten sich mit seiner Architektur auseinander - in Rahmen des Mathematik-Unterrichts berechneten sie Grundriß und Aufmaß des Bauwerks - und erfaßten die Parkanlage (Geographie). Dieses Jahr erforschen sie den Dekor des Rokokoschlosses. Dazu eignen sich die qualitätvollen Stuckverzierungen im Weißen Saal des Sommerschlößchens ganz besonders. Die Schüler untersuchen die Substanz des Stucks, wie er handwerklich verwendet wurde, welche künstlerischen Möglichkeiten er bietet und wie er konserviert werden kann. Ein Besuch in einer Stuckwerkstatt wird das Projekt abrunden. So ist in diesem Schuljahr der Kunstunterricht mit Physik und Chemie verbunden.

Ortskurator Dr. Jürgen Seifert, bis 2000 Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, schlug Schloß Ettersburg vor, weil es sich in vieler Hinsicht hervorragend eignet. Die der Weimarer Stiftung gehörende Schloßanlage auf dem Ettersberg zählt zu den weniger beachteten Denkmalen Weimars, obwohl sie zu Zeiten Herzogin Anna Amalias und der Großherzogin Maria Pawlowna ein Musenhof von großer Anziehungskraft war. Dort fand Schiller die nötige Ruhe, um sein Drama "Maria Stuart" zu vollenden, war Goethe selbst Akteur bei der höfischen Laienspieltruppe und schuf Franz Liszt einige Kompositionen. Darüber hinaus ist das im 18. Jahrhundert errichtete, auch bauhistorisch interessante Schloßensemble Teil der Weltkulturerbestätten der UNESCO. Diese Geschichte des Schlosses wird mit einem anderen Kapitel deutscher Geschichte konfrontiert: Auf der gegenüberliegenden Seite des Ettersbergs befindet sich das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Errichtet zu einer Zeit, als sich im Schloß eine Reformschule befand.

Heute ist die Anlage dringend sanierungsbedürftig, doch es fehlt das Geld. Neben der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen kümmert sich seit 1990 das engagierte Kuratorium Schloß Ettersburg e. V. um das Denkmalensemble. Mit Kulturveranstaltungen will es das Schloß wiederbeleben, um bei der schrittweisen Sanierung mitwirken zu können. So ist jede öffentliche Beachtung, auch durch die Aktivitäten der Schüler, die ihr Projekt zum Beispiel, tatkräftig unterstützt von den Eltern, mit viel Elan und intensiver Vorbereitung auch am Tag des offenen Denkmals vorstellen, ein Segen für das hilfebedürftige Denkmal.

Und nicht nur für dieses Ensemble. Um den Aufbau eines regelrechten Netzwerks unter den Beteiligten zu unterstützen, stellt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in diesem Schuljahr erstmals Fördermittel für Schulverbünde von drei bis sechs Schulen bereit. Auch das Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium hat sich mit vier weiteren Schulen in Annaberg-Buchholz, Jena und dem tschechischen Litvínov zusammengeschlossen. Ihr gemeinsames Forschungsthema lautet "Künstlerische Gestaltungselemente zum Schmuck von Gebäuden und Anlagen". Mit den Annaberger Schülern waren sie schon im tschechischen Kloster Osek/Ossegg, die dort die barocken Skulpturen im Abtgarten untersuchen. Eine aufregende Reise, zumal die Jugendlichen an einer Mönchsweihe teilnehmen durften.

All dies macht den Schülern Spaß und bringt ihnen die Wurzeln ihrer Kultur näher. Schloß Ettersburg kennen sie mittlerweile wie ihre Westentasche. Sie freuen sich darauf, - vorzugsweise im Sommer - in Wort und Bild "ihr" Schloß vorzustellen und ihr Wissen wie etwa bei Führungen und Veranstaltungen weiterzugeben sowie wieder praktische Arbeiten zu verrichten. Trotz der herrschenden Minusgrade ist einer Schülerin dann doch noch die Formel für Gips eingefallen: CaSO4o2H2O.

"denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" geht auch im Schuljahr 2005/2006 an den Start. Dank der guten Erfahrung können sich Schulen erneut in Verbünden von 3 bis 6 Schulen für eine Teilnahme bewerben. Die Ausschreibung läuft noch bis Ende Mai.

Interessierte Lehrerinnen und Lehrer erhalten die Bewerbungsunterlagen und nähere Informationen bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz:

Carolin Poeplau
Tel. 0228/3 90 63-987, Fax -43
schule@denkmalschutz.de
www.denkmal-aktiv.de

aus: Monumente 03/04, 2005