Scharoun, die Schüler und der Jugendstil
Wie Kulturerbe in Langen Schule macht

Sie treffen sich heute erst zum zweiten Mal, die Schüler der 9. und 10. Klasse des Gymnasiums Langen in Niedersachsen. Matthias, der schon im vergangenen Jahr beim "denkmal aktiv"-Projekt der Schule dabei war, ist der aufgeschlossenste und erzählt uns ganz begeistert von der bisherigen Arbeit: "Ich habe mich ja schon immer für Geschichte interessiert, aber so ganz praktisch macht das natürlich noch viel mehr Spaß!" Die Gruppe hat sich neu formiert, da nach den Sommerferien die Schüler, die nun die Sekundarstufe II besuchen, in andere Schulen wechseln mußten.

Über ein ganzes Schuljahr hatten sie sich in dieser Arbeitsgemeinschaft - unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - mit der Bauhaus-Architektur, ihren historischen und sozialen Wurzeln sowie mit ihren typischen Bauformen auseinandergesetzt. Anschauung bot ihnen dabei eine Villa im nahegelegenen Bremerhaven, die 1935 von Hans Scharoun (1893-1972) für seinen Freund und Schwager Hans Helmuth Hoffmeyer errichtet wurde. Gearbeitet wurde zunächst in kleinen Gruppen: Unter der Leitung des Geschichtslehrers Ralf Täuber informierten sich die Schüler im Stadtarchiv Bremerhaven über die Geschichte des Hauses und seine Bewohner. Die Kunstlehrerin Wiebke Hey machte sie mit der Architektur des Bauhauses und mit den Grundlagen der Bauhausfotografie vertraut. Und sie lernten Leben und Werk des Architekten Hans Scharoun kennen, der in Bremen geboren wurde und in Bremerhaven zur Schule ging.

Höhepunkt war im Januar der Besuch in der Villa, die der heutige Besitzer liebevoll und kenntnisreich saniert hat. Er war begeistert vom Interesse der Schüler und hat ihren Blick deshalb auch auf die zahlreichen erhaltenen Details gelenkt. So konnten sie vor Ort viel Neues über die Besonderheiten der Architektur und der Innenraumgestaltung Scharouns erfahren. All das haben sie in beeindruckenden Fotos festgehalten. Daraus ist ein kleiner Architekturführer des Hauses entstanden, der von den Schülern selbst am Computer gestaltet wurde.

Doch die Langener haben nicht allein gearbeitet: Zum Verbund "Denk mal an Bauhaus" gehörten noch die Schulzentren Carl von Ossietzky und Geschwister Scholl in Bremerhaven, die sich ebenfalls mit Bremerhavener Bauwerken befaßt haben, sowie das Spezialgymnasium F. X. Saldy im tschechischen Liberec.

Dorthin, in die Tschechische Republik, ging am Schuljahresende auch die große Abschlußfahrt. Matthias ist noch ganz begeistert: "Allein die tolle Reise ist für mich schon Grund genug, in diesem Jahr noch einmal mitzumachen!" Hatten sie dort doch Gelegenheit, nicht nur mit den tschechischen Schülern, die in diesem Spezialgymnasium die deutsche Sprache lernen, zusammenzutreffen, sondern auch das schöne Prag mit seiner Fülle an historischen Gebäuden kennenzulernen. Beim Austausch mit der Partnergruppe haben sie dann festgestellt, daß die von beiden bearbeiteten Häuser große Ähnlichkeiten aufweisen: Nicht nur Hans Scharoun hat Elemente der Schiffsarchitektur verwendet, sie findet sich auch an der Liberecer Villa, die der Architekt Thilo Schoder 1925 für den Textilhändler Franz Stross errichtet hat. Um diese Ähnlichkeiten näher zu untersuchen und in die Arbeitsmaterialien einfließen zu lassen, war nun - am Ende des Schuljahres - leider keine Zeit mehr. Deshalb will man sich in diesem Jahr bereits frühzeitig mit den Partnerschulen im neuen Verbund "Denk mal an Jugendstil" - dazu gehört neben der Bleickenschule in Cuxhaven wieder die Schule in Liberec - auch über solche Details austauschen.

"Jugend 2006 trifft Jugendstil" hat man sich in Langen nun auf die Fahnen geschrieben. Deshalb gibt es viel zu tun für Matthias und die Neuen. Werden Sie sich doch wieder mit einem sehr interessanten Gebäude beschäftigen: einer Jugendstilvilla, in der heute schwer erziehbare Jugendliche den Tag verbringen. Sicher werden sie bald das Gebäude besuchen können, erste Verbindungen sind schon geknüpft. Bis dahin wird wieder in Gruppen gearbeitet: Im Stadtarchiv, um mehr über Haus, Erbauer und Bewohner zu erfahren, und mit Hilfe von Literatur um den Jugendstil in all seinen Facetten kennenzulernen. Ein Ausflug nach Worpswede, dem Künstlerdorf ganz in der Nähe, wird reichlich Anschauungsmaterial liefern. Austauschen werden sich die acht Schüler bei den wöchentlichen Treffen, und zu guter Letzt soll wieder ein kleiner anschaulicher Architekturführer entstehen - dieses Mal gestaltet von Hannes, dem Computerfreak in der Gruppe.

Als zum Abschluß unseres Besuches bei der Langener "denkmal aktiv"-Gruppe das Gespräch auf die für den nächsten Sommer geplante Reise in die Tschechische Republik kommt, hat nicht nur Matthias strahlende Augen. Schließlich haben die beiden Lehrer und er schon so viel Spannendes davon erzählt. Und sie wollen ja nicht nur Liberec besuchen, wo sich derweil die tschechischen Schüler mit dem Hotel Praha am Markt beschäftigen, sondern sie werden ein paar schöne Tage in Prag verbringen, der "Goldenen Stadt" an der Moldau, die auch eine Stadt des Jugendstils ist.

aus: Monumente 11/12 2006