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Mit den Weils fing es an - Auf den Spuren jüdischer Kultur
Reiseführer rühmen den Kraichgau als die badische Toskana. Rebhänge, Streuobstwiesen, fruchtbare Böden und eine sanfte Hügellandschaft locken Besucher in eine der ältesten Kulturregionen Europas. Orte wie das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Maulbronn, die Melanchthonstadt Bretten oder das für seine Fachwerkhäuser berühmte Eppingen zeugen zwischen Odenwald und Schwarzwald von einer Region voll bewegter Geschichte.
Doch ein Kapitel wird gerne ausgespart, weil es ein sehr unrühmliches ist: der Terror gegen die jüdische Bevölkerung, der mit dem Judenpogrom am 9./10. November 1938 in fast allen Orten des Kraichgaus einen Höhepunkt hatte und im Oktober 1940 mit der gewaltsamen Deportation sämtlicher badischer Juden nach Gurs in Südfrankreich auch das jüdische Leben im Kraichgau beendete.
Vielen Jugendlichen heute ist der Holocaust unbegreiflich und das jüdische Leben fremd. Im Rahmen des Schulförderprogramms "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben sich für das laufende Schuljahr 2006/07 vier Schulen aus dem Kraichgau zu einer Kooperation unter dem Motto "Suchen - finden - bewahren" zusammengeschlossen. Schülerinnen und Schüler aus den 9. bis 11. Klassen des Adolf Schmitthenner-Gymnasiums in Neckarbischofsheim, des Wilhelmi-Gymnasiums in Sinsheim und des Hartmanni-Gymnasiums in Eppingen wollen unter der Federführung der Realschule Waibstadt die untergegangene jüdische Kultur im Kraichgau wiederentdecken und aufarbeiten. Aber sie möchten nicht nur dies: Das Wissen darum und die Auseinandersetzung mit der Geschichte sollen auch bei Politik und Bevölkerung wieder ins Bewusstsein rücken.
Nachdem sich die Schüler mit der Geschichte des Judentums im Kraichgau beschäftigt, Literatur studiert, Historiker und Zeitzeugen befragt haben, sind sie auf Spurensuche gegangen. Dabei benötigten sie oftmals detektivisches Gespür, um die ehemaligen Synagogen, die meist schlichte Bet- und Versammlungshäuser waren, zu lokalisieren und zu dokumentieren.
In diesem Schuljahr wollen die Schüler einen Kalender mit Fotos und erklärenden Begleittexten von den bedeutenden jüdischen Kulturdenkmalen aus dem Umkreis der vier Schulen herausgeben. Mit dem Verkauf des Kalenders wird ein wesentlicher Schritt zur öffentlichen Bewusstseinsbildung getan.
Dass die Schulprojekte Wirkung zeigen, ist am Beispiel der ehemaligen Synagoge in Sinsheim-Steinsfurt zu sehen. Als die Realschule Waibstadt 1999 begann, sich mit dem Judentum zu beschäftigten, war ihr vorrangiges Ziel, Kontakte mit den weltweit verstreut lebenden Nachfahren der in der Region bekannten Familie Weil zu knüpfen. Diese hatte vom 18. Jahrhundert bis 1937 in Steinsfurt gelebt. Der angesehene Mäzen Hermann Weil (1868-1927) war vor allem als Getreidegroßhändler bekannt, der um die Jahrhundertwende mit seiner argentinischen Getreidefirma Hermanos Weil & Cie. den Weltmarkt mitbeherrschte. 1907 nach Deutschland zurückgekehrt, gründeten er und sein Sohn Felix (1898-1975) an der Frankfurter Universität 1923 das Institut für Sozialforschung, das später als "Frankfurter Schule" in die Annalen einging. Dank ihrer amerikanischen Handelsbeziehungen war die Familie wie die meisten Kraichgauer Juden rechtzeitig ausgewandert.
2001 knüpften die Schüler der Realschule Waibstadt erste Kontakte zu Nachkommen der Familie in Argentinien. Ein Jahr später wurden sie zum Verwandtschaftstreffen nach Fort Lauderdale in Florida eingeladen, wo ihr Video über die jüdischen Denkmale in Steinsfurt und Umgebung begeisterten Anklang fand.
Die deutsche Lokalpresse wurde aufmerksam, und die seither jährlich von der Realschule Waibstadt und dem Adolf-Schmitthenner-Gymnasium organisierten Gedenkfeiern am Weil-Mausoleum auf dem jüdischen Friedhof in Waibstadt werden nun auch von den örtlichen Politikern mitgetragen. Im Zuge dieser Aktivitäten schlossen sich die vier Schulen zu einem Verbund zusammen, um dank ihrer Kontakte und der bereits gesammelten Recherche-Erfahrungen gemeinsam noch besser und wirksamer agieren zu können. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Aktion "Rettet die ehemalige Synagoge in Steinsfurt". Nach einer erfolgreichen Sanierung planen sie, das Gebäude zu einer Plattform und einem Kristallisationspunkt für interkulturelle und interkonfessionelle Veranstaltungen zu machen. Ein Erbpachtvertrag, mit dem die Stadt Sinsheim 2006 die Steinsfurter Synagoge von einem Privatbesitzer erwarb, ist ein erster, wesentlicher Schritt in diese Richtung.
Ein Erfolg der vielfältigen denkmal aktiv-Schulprojekte, der ganz in Sinne der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ist. Jugendliche lernen, sich praxisnah mit ihren geschichtlichen Wurzeln auseinanderzusetzen, gewinnen ein Gespür für die Bedeutung von Kultur und Denkmalen, machen Bürger und Politiker aufmerksam, um schließlich unbeachtete Denkmale durch ihre Öffentlichkeitsarbeit vor dem Vergessen zu bewahren. Und die Liste der teilnehmenden Schüler, die schon seit Jahren freiwillig beim denkmal aktiv-Schulprogramm mitmachen, zeigt nicht zuletzt: Es macht Lust auf mehr Wissen.
Aus: Monumente 3 /4 2007